Hohenzollerische Zeitung: Ein kleines Festival in der Synagoge


Montag, 1. Oktober 1990
Ein kleines Festival in der Synagoge

Das Kammerkonzert am vergangenen Freitag in der Alten Synagoge mit durchweg jüdischen Komponisten, aber nicht mit durchweg Musik jüdischen Charakters, war überaus gut besucht. Jochen Brusch, Violine, und Friedemann Treutlein, Klavier, spielten Werke von Max Bruch, Carl Goldmark, Ernest Bloch, Joseph Achron, Fritz Kreisler und Felix Mendelssohn-Bartholdy teilweise ebenso hochvirtuos wie hochdramatisch.
Friedemann Treutleins Klavierspiel war schon ein kleines Festival für sich, was gestalterische Ausstrahlung und pianistische Spannkraft betraf.

Den Eindruck, den Jochen Brusch hinterließ, kann man in einem Satz zusammenfassen: Sein Geigenspiel war ebenso kraftvollvirtuos wie feinnervig-sensibel, stets den Hörer in den musikalischen Prozess mit einbeziehend, so dass die Musik jüdischer Komponisten zum spannen- den Erlebnis wurde.

So gelang bereits die Interpretation der fünfsätzigen "Schottischen Fantasie, op. 46" von Max Bruch (1838 -1920) in souveräner und glanzvoller Weise. Das Spiel des Geigers lebte von einem (nicht er- lernbaren) "inneren Rhythmus". Die glänzende Wiedergabe der "Air" aus dem Violinkonzert in a-Moll, op. 28, von Carl Goldmark (1830 -1915), fand ebenfalls eine bewegende Resonanz seitens des begeisterten Publikums.

Gleichfalls Vollendungscharakter hatten die Aufführungen einer Improvisation aus "Baal Shem" (Three Pictures of chassidic life) von Ernest Bloch (1880 -1959) und eine "Hebräische Melodie op. 35, Nr. 1, als kunstvolle Bearbeitung eines alten Synagogengesanges von Joseph Achron (1886 -1943). Ein weiteres Glanzlicht des Abends stellte das Stuck für Violine solo "Recitativo und Scherzo - caprice, op. 6" von Fritz Kreisler (1875 -1962), dem einstigen "König" der Geiger von Weltruf dar. Jochen Brusch kam besonders bei dieser Aufführung den Klangvorstellungen, wie sie in Lehrwerken der Zeit beschrieben werden, durch Bogentechnik, Artikulation, Tempo und Improvisation sehr nahe.

Die Kreislerauffassung Bruschs und seine Beherrschung einer Reihe von Finessen der Geigenkunst mit makelloser Treffsicherheit fand den ungeteilten Beifall der Zuhörer. Durch die Strahlkraft seines Tones wurde schließlich zum Beschluss des Konzertes die Transkription J. Achrons "Auf Flügeln des Gesanges", op. 34, Nr. 2, von Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809 -1847) zu einem Erlebnis souveräner Virtuosität und schöpferischer Spannung.

Der Konzertgeiger Jochen Brusch lebt übrigens zur Zeit in Jungingen. Er studierte an den Musikhochschulen Duisburg, Esslingen und Hannover. Er kann auf eine umfassende Konzerttätigkeit als Solist und Kammermusiker und auf Platteneinspielungen sowie Rundfunk- und Fernsehaufnahmen verweisen. Er ist seit 1988 erfolgreicher Violinlehrer in Tübingen.

Der Pianist des Freitagabends, Friedemann Treutlein, studierte Schulmusik mit künstlerischer Abschlussprüfung für Klavier in Stuttgart. Er ist zur Zeit als Musiklehrer am Quenstedt-Gymnasium Mossingen tätig. Der nächst Freitagabend in der Synagoge am 26. Oktober befasst sich mit musikalischen und literarischen Gedanken zum Thema Tod. In der Verbindung von Musik (Peter Thalheimer, Flöte) und Texten (Ulrike Götz, Rezitation) will dieses Programm auf den Monat November mit seinen Gedenk- und Feiertagen einstimmen.
 


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